Stadtgeschichte lockt!

Großes Interesse an der ISNYalisierung –

Dank dem unermüdlichen Engagement der Freunde der Appretur war Frau Dr. Sylvia Greiffenhagen vergangenen Samstag in Isny. Ihr Vortrag unter dem Thema „ISNYalisierung“ zeigte strukturiert und sehr anschaulich die Rahmenbedingungen und Gründe für Aufschwung und Abstieg Isnys im 19. Jahrhundert.

Der große Rathaussaal füllte sich zusehends und Petra Eyssel, vom Vorstand der Freunde der Appretur Isny, erklärte in ihrer Begrüßung wie es zu der Kooperation mit den Städtischen Museen Isny, der Sonderausstellung „ISNYalisierung“ und der Zusage für einen Vortrag von Frau Dr. Greiffenhagen kam.

Erst im vergangenen Jahr tauchte der Name Sylvia Greiffenhagen in Isny wieder an prominenter Stelle auf: Im Zuge der Feierlichkeiten „650 Jahre Freie Reichsstadt“ wurde ihre 1988 veröffentlichte Dissertation „Politische Kultur Isnys im Allgäu – Auf den Spuren einer Freien Reichsstadt“ von der Buchhandlung Mayer in Isny neu aufgelegt. Gerade auch im Hinblick auf ihre Jurytätigkeit im September bei der Abschlusspräsentation der Architekturentwürfe von Studenten der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) Konstanz für eine neue Nutzung der Appretur. Über viele Jahre hat sie Quellen in Isnyer Archiven und Privatsammlungen ausgewertet, Gemeinderatsprotokolle und sämtliche vorhandene Literatur zu Isny gesichtet und unzählige Interviews geführt – nicht umsonst gilt sie als sehr profunde Kennerin der Isnyer Geschichte. Mit dem Schwerpunkt auf Ihrer Forschungsarbeit zum 19. Jahrhundert, ließ sich Frau Dr. Greiffenhagen überzeugen, einen Vortrag rund um den spezifischen Isnyer Wirtschaftsgeist, der vielleicht bis heute spürbar ist, zu halten.

Handelsbeziehungen Isnys im Mittelalter | ___Fernhandel - - -Leinwandabsatz
Handelsbeziehungen Isnys im Mittelalter (Kammerer 1956)

Der Vortrag gliederte sich in drei wesentliche Abschnitte: Die Wirtschaftsgeschichte vor dem 19. Jahrhundert, dann die Frühphase der Industrialisierung 1780 bis 1830 und als dritten Abschnitt der langsame Abstieg und die Strategien der Stadt Isny sich dagegen zu wehren. Greiffenhagen erinnerte an die überragende ökonomische Stellung Isnys in der reichsstädtischen Zeit im Vergleich zu den Nachbarstädten Wangen und Leutkirch. Auch dass das Auge des Kaisers zeitweise sehr wohlwollend auf Isny ruhte, doch auch die beengte räumliche Situation, die schwierigen Besitzverhältnisse und die konfessionellen Spannungen wurden erwähnt. Ebenso was die tiefgreifenden Veränderungen für Handel und Handwerk im Bodenseeraum während des 17. und 18. Jahrhunderts mit sich brachten. A. F. Pauly hatte in der Oberamtsbeschreibung von 1841/1843 schon festgestellt, dass die Einwohner von Wangen und Leutkirch zu Ackerbürgern wurden, in ihren ökonomischen Einstellungen quasi „verbauerten“.

Das Isnyer Wirtschaftsleben jedoch war städtisch geprägt und der Wohlstand abhängig von Handwerk und Handel, im Gegensatz zu den anderen Städten war ja auch kein Weide- und Ackerland vorhanden. Isny war laut Greiffenhagen bestens für das beginnende Industriezeitalter gerüstet. Aufgrund wichtiger Faktoren wie vorhandenes Kapital, das Wissen um die ideale Nutzung der Energiequellen, moderne Technik (Dampfmaschinen), ausreichend Arbeitskräfte, Handels- und Markttraditionen, gute Kontakte ins Ausland (wichtig vor allem zur Schweiz), generell eine industriefreundliche Stimmung, die Freude an Innovationen, der „protestantische Geist“ und der Wille zur Expansion gab es in Isny schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts zahlreiche kleine und zwei große Fabriken und beschäftigten damit 300 Bürger. Erstaunlich gerade im Vergleich mit Württemberg, das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Anschluss an die Wirtschaft Entwicklungen im übrigen Deutschland fand.

Das beste Sinnbild für die spezielle Isnyer Situation während der Industrialisierung ist der Nadelfabrikant Andreas Rödel – von dem Greiffenhagen sagt: „C.U. Springer war mit Sicherheit der bekanntere, dafür war Andreas Rödel der interessantere Fabrikant im 19. Jahrhundert“, nur leider zu früh geboren und bis heute ist sein Wirken nicht zur Gänze erforscht. Sämtliche Vorfahren waren Nadlermeister, das väterliche Erbe dürfte jedoch nicht allzu reichlich gewesen sein – dennoch baute er seinen Betrieb langsam und kontinuierlich aus, er muss jeden noch so kleinen Gewinn in seinen Betrieb investiert haben, denn die Schuldenbücher im Stadtarchiv Isny geben Auskunft, dass er bei den traditionellen Kreditgebern in Isny nicht vorstellig wurde. Um 1800 war Rödel schon Besitzer eines mit 60 Arbeitern im weiten Umkreis einzigartigen Unternehmens.

Dampfkessel-Springer
Unter zweiter Generation errichtete C. U. Springer 1861 die erste Dampfkesselanlage. Damit wurde die Grundlage für einen weiteren Ausbau der Firma geschaffen. Von den städtischen Wasserreserven wurde man weitgehend unabhängig.

Für die frühe Phase der Industrialisierung eine erstaunliche hohe Zahl, die den Vergleich mit Industriehochburgen wie Konstanz aushält und bei süddeutschen Städten Isnyer Größe keine Entsprechung findet. Doch allen Expansionsplänen setzte die Politik ein Ende: durch die von Napoleon künstlich geschaffenen Grenzen um Isny, verlor die Firma von Andreas Rödel ihre Märkte und billige Einkaufsquellen – eines der ersten Opfer der bayerisch-württembergischen Zollpolitik nach 1806.

Die zahlreichen Zuhörer im Rathaussaal hingen wortwörtlich an den Lippen der Referentin und nahmen auch im Anschluss die Gelegenheit wahr, eigene Fragen vorzubringen. Gerade das Wissen und Engagement um die Eisenbahn – schon 1838 hatte sich ein Eisenbahnkomitee gegründet, wesentlich früher als in den anderen oberschwäbischen Städten – doch die Bahn kam spät nach Isny und heute zeugt nur noch das ehemalige Bahnhofsgebäude von dieser Episode Isnyer Geschichte. Warum die durchgehende Bahnstrecke scheiterte und weshalb die Eisenbahn sich im ländlichen Grenzraum so schwer tut, wurde von Bürgermeister Magenreuter mit Wissen zur aktuellen Situation ergänzt.

Das ambivalente Verhältnis zwischen Isny und Württemberg wurde angesprochen und der Motivation des württembergischen Königs in Bezug auf Isny nachgegangen. Da Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts ohne Verständnis und Interesse für Isny schien. Die anwesende Stadtarchivarin Nicola Siegloch bestätigte, dass es nicht nur Isny, sondern die ganze Region betraf und was man einmal hat, das gibt man auch nicht mehr her. „Wissen sie mittlerweile in Stuttgart, dass Isny zu Württemberg gehört?“, fragte Greiffenhagen amüsiert, denn zu ihrer Recherchezeit musste sie noch Aufklärungsarbeit bezüglich der korrekten Bundelandzugehörigkeit betreiben, was sich bis heute nicht geändert hat, so Bürgermeister Magenreuter, da auch der Bayerische Rundfunk sich erst neulich zu einem Porträt über bayerische Bürgermeister bei ihm meldete. Gemeinderat Otto Ziegler stellte die Frage nach möglichen Ratschlägen für die langersehnte Anerkennung als Mittelzentrum für Isny und eine bessere Vernetzung mit den bayerischen Nachbarn, „dann wäre ich eine gefragte Frau“, so Greiffenhagen. Gerade, wo Isny heute und in Zukunft, an eine gute Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg anknüpfen kann, beweist wie wichtig das Wissen um die Vergangenheit ist.

plakatDas große Interesse an dem gelungenen Vortrag zur Industriegeschichte Isnys zeigt deutlich, dass Geschichte nichts Verstaubtes und Irrelevantes ist, sondern von größter Bedeutung für die Identität einer Stadt. Zwei Standorte der ehemaligen Fabrik C. U. Springer, das Museum am Mühlturm (ehemalige Seidenzwirnerei) und die Appretur stehen bis in den September 2016 noch im Zeichen der Rückschau auf die Industriegeschichte – aber auch im Ausblick auf Entwicklung des Umgangs mit der städtischen Geschichte und deren Gebäude.

Bahn-Streckennetz
Streckennetz in der Sonderausstellung „ISNYalisierung – Isny im 19. Jahrhundert“ im Museum am Mühlturm.

Museum am Mühlturm: Sonderausstellung „Isnyalisierung“ bis 11. September 2016. Öffnungszeiten Do/Sa/So 14:00 Uhr – 17:00 Uhr